Welches Sachverständigengutachten ist maßgeblich für Schadensregulierung?

Der Sachverhalt

Der Kläger hatte nach einem von ihm unverschuldeten Verkehrsunfall ein Schadensgutachten in Auftrag gegeben. Der Sachverständige kalkulierte darin Reparaturkosten von 3.736,43 Euro brutto. Unter anderem stellte er fest, dass das hintere Seitenteil teilweise erneuert werden müsse. Der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners beauftragte seinerseits ein Schadensgutachten, welches zu dem Schluss kam, dass lediglich Reparaturkosten von 2.893,04 Euro brutto erforderlich seien. Bezüglich der hinteren Seitenwand sei eine Instandsetzung ausreichend. Dieses Sachverständigengutachten sandte sie dem Kläger. Der Kläger ließ sodann das Fahrzeug in einer Markenwerkstatt reparieren und legte dieser beide Gutachten vor.

 

Die Werkstatt legte im Anschluss an die Reparatur eine Rechnung über 5.306,88 Euro und berechnete darin unter anderem die Kosten für einen vergeblichen Instandsetzungsversuch der Seitenwand und die Kosten für die Auswechslung der Seitenwand. Der Haftpflichtversicherer zahlte darauf nur die die kalkulierten Reparaturkosten seines Gutachtens von 2.893,04 Euro, da er der Auffassung war, dass diese zur Behebung des Unfallschadens ausreichend waren. Der Kläger erhob daraufhin Klage wegen des restlichen Schadensersatzes und unterlag in der ersten Instanz zum überwiegenden Teil. Das Amtsgericht hatte ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben, welches Reparaturkosten von 3.714,91 Euro für erforderlich erachtete, und sprach auf die restlichen Reparaturkosten von 2.413,84 Euro lediglich einen Betrag von 821,93 Euro zu. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

 

 

Die Entscheidung

Das LG Saarbrücken (Urteil vom 23.01.2015 – 13 S 199/14) änderte die erstinstanzliche Entscheidung ab und verurteilte den beklagten Haftpflichtversicherer zur Zahlung der vollen restlichen Reparaturkosten. Es folgte der herrschenden Rechtsprechung, wonach der Schädiger die Aufwendungen zu ersetzen hat , die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Dabei werde der „erforderliche“ Herstellungsaufwand nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss. Lässt der Geschädigte seien Fahrzeug reparieren, so sind die durch eine Reparaturrechnung der Werkstatt belegten Aufwendungen im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der erforderlichen Reparaturkosten. Diese „tatsächlichen“ Reparaturkosten könnten regelmäßig auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten – etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist – unangemessen sind.

 

Soweit hier der erfolglose Instandsetzungsversuch der Werkstatt möglicherweise unsachgemäß und unnötig war, spiegelten die dadurch entstandenen Mehraufwendungen das sog. Werkstattrisiko wider, das gerade nicht der Geschädigte, sondern der Schädiger zu tragen hat. Ein Auswahl- oder Beauftragungsverschulden des Klägers bei der Wahl seines Sachverständigen und der Werkstatt, einer Markenwerkstatt, konnte das Gericht nicht erkennen.

 

 

Fazit

Lässt der Unfallgeschädigte den Schaden an seinem Fahrzeug fachmännisch begutachten und beauftragt daraufhin die Reparatur des Fahrzeug nach den Vorgaben des Schadensgutachtens, so darf er auf die Richtigkeit seines Gutachtens vertrauen. Dies gilt auch dann, wenn ihm der Schädiger vor Reparaturbeginn ein anderes Gutachten vorlegt, welches eine wirtschaftlichere Reparaturweise aufzeigt. Mehraufwendungen wie durch Reparaturverzögerungen oder fehlerhafter Reparaturdurchführung gehen zulasten des Klägers. Dieser trägt das „Werkstattrisiko“, denn er hat schließlich die Ursache für die notwendige Reparatur gesetzt.

 

 

Empfehlung

Wie in dem Blog vom 26. April 2015 bereits hingewiesen, empfiehlt sich aus mehreren Gründen die Beauftragung eines Schadensgutachtens nach einen Verkehrsunfall, sofern kein Bagatellschaden vorliegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweise ich auf die dortigen Ausführungen. Liegt das Schadensgutachten dann vor, kann auch die Reparatur auf Grundlage des Gutachtens beauftragt werden. Die Haftung der Schädigerseite sollte jedoch ggf. vorher ins Kalkül gezogen werden. Mehrkosten die in der Folge aus Anlass der Reparatur entstehen, gehen grundsätzlich zulasten der Schädigerseite. Hiervon wird nur dann eine Ausnahme gemacht, wenn dem Geschädigten ein Auswahl- oder Beauftragungsverschulden angelastet werden kann. Dies kann beispielsweise darin liegen, wenn der Geschädigte erkannt hat oder erkennen musste, dass der Sachverständige den Schaden nicht fachmännisch feststellen kann oder die gewählte Werkstatt nicht in der Lage ist, den Schaden fachgerecht und zügig zu beheben.

 

Nach alledem ist daher die Beauftragung eines, vorzugsweise zertifizierten, Sachverständigen und einer Markenwerkstatt stets der sicherste Weg.

 

 

 

Alexander Schulz

Rechtsanwalt